Wie ich in einem anderen Artikel schon erwähnt habe, befinde ich mich gerade in Sofia, der Hauptstadt von Bulgarien. Ich mache hier für sechs Monate mein Auslandssemester. Jetzt haben wir Januar und fünf davon sind schon vorbei. Auf jeden Fall war ich die ersten vier Monate des Aufenthaltes in einem kleinen mentalen Winter-Loch, das die meisten wohl kennen dürften. Ich habe die meiste Zeit in meiner WG verbracht, genauer gesagt mit Häkeln und Gilmore Girls schauen. Was natürlich auch seine Berechtigung hat, und es war ja auch gemeinsam mit meinen beiden Mitbewohnerinnen. Aber irgendwann reicht es halt auch mal. Über Weihnachten und Silvester war ich jedenfalls in Osnabrück und in dieser Zeit habe ich irgendwie so viel neue Inspiration und Energie bekommen, dass ich danach in Sofia einfach irgendwas machen musste. Und so habe ich ein bisschen gegoogelt und Mails geschrieben und ein paar Tage später konnte ich meine Freiwilligenarbeit beim Tierheim Animal Rescue Sofia anfangen.
Keine Angst vor Hunden
Ich hatte in Osnabrück schon mal darüber nachgedacht, im Tierheim auszuhelfen. Irgendwie dachte ich aber immer, ich würde das nicht hinkriegen und ich habe ja auch noch nicht so viel Erfahrung mit Tieren. Zuhause am Bodensee, wo ich aufgewachsen bin, haben wir zwei Ziegen und zeitweise ein paar Rinder. Aber seit ich in Thailand von einem riesigen schwarzen Hund gekniffen wurde, hatte ich ein bisschen Angst vor Hunden. Was mich mega genervt hat, weil ich Hunde toll finde und gemerkt habe, wie ich vor ihnen zurückschrecke. Das Ganze war also auch so ein bisschen Konfrontationstherapie. Naja, jedenfalls lohnt sich arbeiten in Bulgarien eh nicht so sehr, da der Mindestlohn super niedrig ist. Mit Freiwilligenarbeit hatte ich schon Erfahrung, also wollte ich dort Volunteering machen.
Also bin ich am ersten Tag um acht Uhr aufgestanden und habe Metro und Bus genommen, damit ich ca. um 10 Uhr am Shelter bin. Dieser liegt etwas außerhalb, was für die Anfahrt unpraktisch ist, aber dafür gibt es ganz viel Natur in der Gegend. Nachdem ich auf dem Weg mein Müsli gegessen habe, spuckt der Bus mich irgendwo auf einem Kiesstreifen an einer Landstraße aus. Es gibt zwei geschlossene Imbissbuden und eine Autowerkstatt, die etwas zwielichtig aussieht, ansonsten nicht viel. Ich folge Google Maps an der Straße entlang zur Einfahrt des Tierheims. Dafür brauche ich erstmal länger als gedacht, da es keinen Gehweg gibt und ich mich etwas durch die Büsche schlagen muss. Irgendwann bin ich auf jeden Fall da und höre beim Näherkommen schon Hundegebell, was mir ein bisschen Angst macht.
Hunde die bellen, beißen nicht
Ich stelle mich der Frau an der Rezeption vor und sage ihr erstmal, dass ich drei Tage die Woche jeweils sechs Stunden arbeiten möchte. Das hört sich für mich selber viel an und ich hoffe, dass ich mich damit nicht überschätze. Sie fragt mich, ob ich direkt etwas bleiben will, und so fängt mein erster Tag im Tierheim an. Eine Mitarbeiterin zeigt mir das Gelände. Es gibt eine „Klinik“, in der verletzte und kranke Hunde sind und von einem Tierarzt behandelt werden. Zum Beispiel gibt es einige Hunde, die auf der Straße ein Bein verloren haben. Die werden dann aufgesammelt und ins Tierheim gebracht. Das sind so etwa 20 Hunde, die alle in ziemlich kleinen Einzelboxen liegen. Draußen gibt es ein Gebäude mit vielen größeren Gehegen in einer Reihe. Dort sind bis zu vier Hunde in einem „Abteil“, und als ich das erste Mal daran vorbeigelaufen bin, haben alle von ihnen mich angebellt. „In einem Monat haben sie sich an dich gewöhnt“, sagt die Mitarbeiterin. Ich bin etwas eingeschüchtert.
Spielen und Gassi gehen
Dann kriege ich einen Hund und soll mit ihm in den „Yard“ gehen, ein Gehege mit Sand, wo ich mit ihm spielen kann. Ich bin am Anfang etwas überfordert, aber merke schnell, wie schön es ist, einen Hund zu streicheln. Ich habe es vermisst. So geht es weiter. Ich bringe den Hund zurück, kriege den nächsten zum Spielen. Als es plötzlich Nachmittag ist, bin ich verwundert, wie schnell die Zeit vorbeigegangen ist. Das ist jetzt, nach einem Monat, immer noch so. Jedes Mal sitze ich danach im Bus, rieche nach Kacke und Leckerlis, und habe ein gutes Gefühl im Bauch. Die nächsten Male bin ich viel mit den Hunden außerhalb vom Shelter spazieren gegangen. Manchmal durfte ich mit ein paar Welpen in ein großes Gehege und das Gefühl, wenn fünf kleine Hunde um einen rumspringen, ist irgendwie unbeschreiblich. Von ihnen geht einfach pure Freude und Lebendigkeit aus, und man wird angesteckt.
Liebe und Leid
Ich freue mich sogar, wenn ich Kacke wegmachen kann, weil ich dann zu den Hunden ins Gehege gehen kann. In einem dieser Gehege ist ein großer schwarzer Hund. Im vorderen Teil ist ein großer Kreis aus Erde mit einem Plateau in der Mitte. Ich habe erst nicht verstanden, was das ist, bis mir klar wurde, dass der Hund den ganzen Tag auf dieser Bahn im Kreis läuft. Wenn ich in sein Gehege gehe, springt er an mir hoch und klammert sich an mir fest, will meine Hand in sein Maul nehmen. Auf dem Rückweg vom Tierheim habe ich eine Kollegin gefragt, was mit ihm los ist. Sie meinte, er sei nicht so gewesen, als er im Shelter angekommen ist. Aber das Leben hier hat ihn durchdrehen lassen, meinte sie. Ich werde traurig und es tut mir leid, dass ich es noch zuvor am Tag fast lustig fand.
Die gleiche Kollegin erzählt mir, dass sie ihren Bürojob als Übersetzerin gekündigt hat, „um hier Kacke wegzumachen“. Sie meinte, das sei ihr Traum gewesen, und dass es der erste Job ist, der ihr wirklich Spaß macht. Sie meint aber auch, dass sie privilegiert ist und nicht so viel Geld verdienen muss. Aber das mit dem Spaß kann ich etwas verstehen. Auch wenn ich nicht lange dort arbeite, ich habe mich das erste Mal in meinem Leben gefreut, früh aufzustehen, um zu arbeiten. Die Hunde machen es einem aber auch einfach. Nach zwei Wochen fange ich an, von Hunden zu träumen. Plötzlich fallen mir auch auf der Straße viel mehr Hunde auf. Und ich bin mir jetzt sicher, dass ich irgendwann in meinem Leben mal einen Hund adoptieren möchte.
Adopt don´t shop!
Aber so schön es ist, dort zu arbeiten, so anstrengend ist es natürlich auch. Man ist den ganzen Tag draußen und auf den Beinen, im Winter ist es zu kalt und im Sommer zu warm. Es riecht nach Kacke und man hat überall Sabber und Hundehaare. Zudem sind in den meisten Tierheimen die Zustände schlimmer als in diesem. Eine Kollegin meinte, das Tierheim sei das beste in der Stadt, und es gebe andere, wo ein Mitarbeiter auf 20 Hunde kommt. Bei Animal Rescue ist den ganzen Tag ein Tierarzt da, die Hunde kriegen Medikamente und werden versorgt. Sie werden gefüttert, mindestens zweimal am Tag werden sie gelaufen und die Mitarbeiter lieben die Hunde. Ich denke daran, dass der schwarze Hund schon in diesem Tierheim psychische Schäden erleidet. Wie geht es wohl erst den Hunden in anderen Sheltern?
Dann gibt es noch Lorena. Lorena ist eine schwarzer, super liebevoller Hündin, der zwei Beine fehlen. Damit sie Gassi gehen kann, muss sie an ein Metallgestell mit Gurten und Rädern geschnallt werden. Irgendwie ist Lorena ein bisschen meine Aufgabe geworden, und so gehe ich als Erstes jeden Morgen eine große Runde mit ihr spazieren. Auf dem Weg muss man regelmäßig ihre Hinterbeine in Schlaufen schieben, damit sie nicht auf dem Boden schleifen. Mir ist klar, dass Lorena auf der Straße keine Chance zu überleben hätte. Nur durch die Liebe und Mühe des Tierheims kann sie doch noch irgendwie ein Leben führen. Ich stelle mir vor, dass sie irgendwann von einem Auto angefahren wurde. Und obwohl es anstrengend ist, sich um sie zu kümmern, kriegt man so viel Liebe zurück.
Und die Moral…
Was mich immer wieder beeindruckt, obwohl es eigentlich so normal ist, ist wie Hunde mit ihrem Körper umgehen. Oder dass sie eigentlich gar nicht damit umgehen. Man sieht die Hunde beim Pinkeln und beim Kacken, macht die Gehege sauber und hat ihren Sabber überall. Manche Hunde haben drei oder auch nur zwei Beine und trotzdem sprüht die Lebensfreude und Energie aus ihnen heraus. Und trotz allem sind sie unglaublich liebenswert, in ihrer Natürlichkeit. Wenn ihr Körper etwas braucht, wie Essen, Bewegung oder Ruhe, dann gönnen sie es ihm. Ich glaube, wir können in der Hinsicht viel von Tieren lernen. Das erinnert mich immer an das Gedicht Wild Geese von Mary Oliver:
„You only have to let the soft animal of your body
love what it loves.“
– Mary Oliver (Wild Geese)
Also, abschließend habe ich noch zu sagen: Wenn ihr euch überlegt, einen Hund anzuschaffen, bitte bitte adoptiert einen aus dem Tierheim. Es gibt genug tolle Hunde da draußen, die sich wahnsinnig über eine liebevolle Aufnahme freuen würde. Hier findet ihr die Website von Animal Rescue, dem Tierheim, in dem ich gearbeitet habe. Und hier ist ihr Instagram. Ich freue mich auf jeden Fall auf den nächsten Monat, den ich hier noch arbeiten kann. Danach muss ich schon zurück nach Deutschland. Und ich weiß jetzt schon, dass die Hunde das sind, was ich am Meisten vermissen werde.
Leona
6 Antworten zu “Freiwilligenarbeit im Tierheim”
[…] sich auch nicht vom Fleck bewegt, außer um das Ladekabel in die Steckdose zu stecken. Auch durch meine Arbeit im Tierheim habe ich erfahren, wie viel besser man sich am Ende des Tages nach körperlicher Arbeit […]
[…] habe, bin ich gerade in meinem Auslandssemester in Sofia, Bulgarien. Es ist jetzt Februar und so langsam neigt es sich dem Ende zu. Ich möchte über die ersten 4 Monate hier reflektieren, September bis Dezember, in denen ich […]
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