Vipassana-Meditation


Meine Erfahrungen mit den Vipassana 10-Tages-Kursen

Vor zwei Monaten habe ich meinen zweiten Vipassana 10-Tages-Kurs gemacht, und wollte eigentlich direkt darüber berichten. Aber wie es aussieht, habe ich das Ganze ein bisschen aus den Augen verloren, deswegen jetzt hier eine Reflektion darauf mit etwas Abstand.

Vipassana ist eine Meditationstechnik, die laut den Kursen in direkter Tradition von Buddha gelehrt werden. Vipassana bedeutet „Die Dinge so sehen, wie sie sind.“ Heutzutage gibt es einen Verein namens Dhamma, der eben diese Meditationstechnik in 10-Tages-Kursen lehrt. Sie sind kostenlos und der ganze Verein basiert auf Spenden und ehrenamtlichen Helfern. Hier findet ihr die Website, auf der es alle Informationen dazu gibt.

Es geht los

Meinen ersten Kurs habe ich ca. 1,5 Jahre vor dem zweiten gemacht, im Herbst 2021. Damals habe ich mich schon ein bisschen mit Meditation und Buddhismus beschäftigt, aber der Kurs war trotzdem eine einschneidende Erfahrung für mich. Ich wusste erstmal gar nicht, was auf mich zukommt, nur, dass man anscheinend zehn Tage lang schweigt und meditiert. Als ich dann bei dem Kursort irgendwo im Westerwald ankam, mussten erstmal alle ihr Handy abgeben. Dann hat man seine Zimmer bekommen, es gab ein gemeinsames Abendessen und danach fing mit der ersten Meditation die „Edle Stille“, also die Schweigeperiode für die 10 Tage an.

Das Haupthaus vom Vipassana-Meditationszentrum in Triebel
Das Haupthaus vom Vipassana-Meditationszentrum in Triebel. Quelle

Meine Oma dachte, als ich ihr davon erzählte, dass ich in eine Sekte eintrete. Ich hatte bei dem Wort „Schweigekloster“ auch meine Bedenken, aber irgendwann habe ich aufgehört, es zu benutzen, da der Kurs nun wirklich kein Kloster ist. Man nimmt für die 10 Tage zwar eine ähnliche Lebensform wie Mönche oder Nonnen an, aber das dient vor allem der Ruhe und um Ablenkung fernzuhalten. Was mir an Vipassana sehr gefällt, ist, dass es ziemlich undogmatisch ist und wenig mit Glauben oder Religion zu tun hat. Jeden Abend gibt es einen Video-Vortrag von einem Lehrer aus den 90ern, in denen werden die Hintergründe zur Technik und das philosophische Konstrukt des Buddhismus und der Meditation erklärt. Dabei betont Goenka, der Lehrer, aber immer wieder, dass man nichts davon glauben muss und sowieso Dinge immer erst glauben und akzeptieren soll, wenn man sie selbst erfahren hat.

Blick nach Innen

Nachdem also das Schweigen angefangen hat, geht der Kurs los. Ich war beide Male sehr nervös davor, einfach zu wissen, dass man in den nächsten 10 Tagen keinen Kontakt zur Außenwelt haben wird, kein Wort sprechen, keinen Sport machen, nicht mit Freunden Spaß haben, keine Nachrichten lesen kann. Musik hören, lesen und schreiben darf man auch nicht. Es geht darum, alle potentiellen Ablenkungen von außen wegzunehmen, damit man besser nach innen blicken kann, ohne den ganzen Lärm. Das hat sehr viel Sinn für mich gemacht, und mir wurde klar, dass ich wahrscheinlich noch nie einen Tag lang gar nicht geredet habe. Schon eine ziemliche Ausnahmesituation, aber ich war echt gespannt, was passieren würde.

Naja, und die nächsten 10 Tage – oder neun, denn am 10. Tag darf man wieder reden – bestanden alle aus dem ziemlich gleichen Tagesplan: Um vier (ja, 4) Uhr steht man auf, und ab da ist man nur noch am Meditieren, Essen, Spazieren, und aufs Klo gehen. Es gibt am Tag drei vegetarische Mahlzeiten, die super lecker sind und echt ein Lichtblick. Das Abendessen besteht nur noch aus Obst und Saft, und wenn man alte*r Schüler*in ist, das heißt, schon mindestens einen Kurs besucht hat, sogar nur aus Saft. Und dazwischen gibt es Meditationszeiten, davon drei einstündige Sitzungen, in der alle Schüler*innen in der Meditationshalle sein müssen, und der Rest sind freie Meditationszeiten, das heißt man kann auch auf seinem Zimmer meditieren oder aus der Halle rausgehen.

Ziemlich wenig los

Es gibt also sehr wenig geistige, körperliche und emotionale Stimulation, außer dem Essen, den Vorträgen und dem Spazieren gehen. Und es gibt sehr wenige Möglichkeiten, seine Emotionen von außen zu regulieren, also sich abzulenken, darüber zu reden oder sie beim Sport rauszulassen zum Beispiel. Das ist mir dieses Mal, bei meinem zweiten Kurs, besonders aufgefallen, wie selten es ist, dass man mal eine Emotion in ihrer Reinform erlebt. Normalerweise kann man einfach an sein Handy gehen, etwas essen oder Alkohol trinken, oder unzählige andere Formen der Emotionsregulation nutzen. Ich fand es sehr schön (im Rückblick), dass man da seinen Emotionen einfach ausgeliefert ist und lernen muss, sie zu akzeptieren. Die größten Probleme hatte ich mit Wut und Tatendrang, die mich beide sehr von Meditieren abgehalten haben. Wenn es gar nicht mehr ging, bin ich aufgestanden und spazieren gegangen, das hat dann meistens schon geholfen.

So oder so ähnlich sieht die Meditationshalle im Vipassana-Zentrum aus.
So oder so ähnlich sieht die Meditationshalle im Vipassana-Zentrum aus. Quelle

Jetzt zur Meditationstechnik, die überraschend simpel ist – die ersten drei Tage lernt man „Anapana“, und danach fängt man mit Vipassana an. Anapana heißt einfach nur „Achtsamkeit beim Atmen“ und genau das ist es auch. Es geht darum, dass man sich auf eine kleine Stelle unterhalb der Nase konzentriert, und dort den Atem spürt. Wenn man merkt, das die Gedanken abschweifen, kehrt man einfach mit der Aufmerksamkeit zurück zu der Stelle. Das ganze ist dazu da, seine Konzentration zu üben und seinen Geist zu „schärfen“. Man lernt, die Aufmerksamkeit auf seinen Körper zu richten und dort die Empfindungen wahrzunehmen. Im Alltag ist unsere Aufmerksamkeit meist im Außen, und hier geht es darum, stattdessen mal nach innen zu schauen und sich selbst zu beobachten.

Die eigentliche Technik

Am vierten Tag lernt man dann Vipassana, und dabei geht es die ganze Zeit darum, dass man seinen Körper aufmerksam „durchscannt“ und weiter seine Empfindungen beobachtet. Man geht von Kopf bis Fuß durch jedes Körperteil versucht einfach nur zu akzeptieren, was man dort vorfindet. Die Theorie dahinter ist, dass alles, was im Geist passiert, zum Beispiel Emotionen, eine körperliche Komponente hat, die sich nicht von dem „Geistigen“ trennen lässt. Ich finde es sehr spannend, dass unsere Sprache genau das ausdrückt, zum Beispiel hat man „Wut im Bauch“ oder Schmetterlinge oder einen „Kloß im Hals“ oder ist einfach nur angespannt. Und es geht darum, dass man oft gar nicht merkt, was im Körper so vor sich geht, wie man sich unterbewusst bewegt oder anspannt, weil man eben mit der Aufmerksamkeit nicht bei sich ist.

Die Theorie dahinter

Dadurch, dass man seine körperlichen Empfindungen die ganze Zeit beobachtet, bemerkt man sie mit der Zeit schneller und die Wahrnehmung verfeinert sich. Normalerweise reagiert der Geist direkt auf diese unterbewussten Veränderungen, ohne dass wir es wirklich merken, und ohne dass wir dann wissen, wo die Emotion oder Reaktion herkommt. Ich stelle mir Meditation dann immer vor wie einen Keil, der zwischen diese Kette an Empfindung und Reaktion dringt. Man unterbricht dieses Schema dadurch, dass man die Empfindungen einfach nur beobachtet und nicht darüber urteilt oder auf sie reagiert.

Mit Reagieren kann eine körperliche Reaktion gemeint sein, aber oft sind es auch nur emotionale Reaktionen der Ablehnung oder Anhaftung, die stattfinden. In den abendlichen Vorträgen wird erklärt, dass laut dem Buddhismus Leid durch Verlangen entsteht. Wir erfahren etwas Angenehmes und das Ego entwickelt Anhaftung, die dann zu Verlangen wird, je öfter man damit darauf reagiert. Oder wir erfahren etwas Unangenehmes und wollen es loswerden, also reagieren wir mit Ablehnung. Und so entwickeln sich in unserem Geist Muster, und dauerhaft laufen diese Prozesse von Anhaftung oder Ablehnung ab, ohne dass wir es merken. Das Ego kann die Realität nicht akzeptieren, wie sie ist, sondern muss sie einordnen, auf sie reagieren. Diese Muster sammeln sich an und werden zu starken Triebkräften, die für uns und für andere sehr schädlich sein können.

Die Zeit vergeht

So gehen die ersten paar Tage relativ schnell um, weil alles noch interessant ist. Der zweite Tag ist für die meisten Leute der schwierigste, da das erste Tief kommt und man sich darüber klar wird, was man hier eigentlich macht. Am Anfang hat man ziemlich starke körperliche Schmerzen, der Körper muss sich erst an das Sitzen im Schneidersitz gewöhnen. Irgendwann wird es besser, oder man lernt damit umzugehen. Bei mir fingen danach, so am fünften Tag, die emotionalen Schwierigkeiten an, und die letzten zwei Tage hat es mir echt gereicht. Wie beim ersten Kurs war auch der zweite Kurs für mich ein ziemlich starkes emotionales Auf und Ab. Zwischendurch diese Wut oder Langeweile oder einfach nur Zweifel an dem Ganzen, aber dafür auch sehr starke Erfahrungen des Friedens zu anderen Zeiten. Manchmal hatte ich kurz das Gefühl, klar zu sehen, in mir zu ruhen und im Reinen zu sein.

Aber genau darum geht es – für die negativen Erfahrungen keine Abneigung zu entwickeln und sich nicht nach den positiven zu sehnen. Während dem Kurs wird einem immer wieder klar, wie absurd und schädlich das ist und wie trotzdem die meisten Menschen im Alltag genau nach diesem Muster handeln. Und auch ich bin jetzt, zwei Monate nach dem Kurs, wieder in meinem normalen Leben angekommen. In den Vorträgen wird empfohlen, dass man nach dem Kurs weitermeditiert für jeweils eine Stunde am Morgen und am Abend. Das hört sich ziemlich viel an und auch wenn ich nach den zehn Tagen überzeugt davon war, dass ich das auf jeden Fall weitermachen will, habe ich jetzt schon wieder damit aufgehört. Das war bei mir letztes Mal auch so, am Anfang ist es noch leicht und dann wird es immer weniger.

Nach dem Kurs

Für mich stellt sich irgendwie die Frage, wie ich dieses „Extrem“ von Stille und Frieden vereinbaren soll mit meinem Studentenleben, das von unregelmäßigem Schlafrhythmus, Alkohol, Rausgehen mit Freunden und Uni bis in die Nacht geprägt ist (nicht nur natürlich). Es ist verrückt, wie viele Versuchungen es gibt und wie leicht es ist, ihnen nachzugeben. Natürlich könnte man von beidem ein bisschen machen, aber irgendwie schaffe ich es noch nicht, diese beiden Lebensvorstellungen zusammenzuführen. Ich sage mir, dass es okay ist, einmal im Jahr einen Kurs zu machen, und irgendwann wird es sich schon verfestigen und seinen Platz in meinem Leben finden. Auch wenn es dann wieder ein totaler Schock wird, diese zehn Tage in Stille zu meditieren.

Aber ich habe auch von anderen gehört, die regelmäßig weitermeditiert haben und denen es geholfen hat. Bei meinem zweiten Kurs bin ich drei Tage früher angereist, um beim Vorbereiten zu helfen. Das war ziemlich spannend, weil man da noch reden durfte und sich mit anderen Helfern austauschen konnte. Es ist interessant, weil an Leuten alles dabei ist, von Esoterikern, die sich von Sonnenlicht ernähren wollen, bis zu Leuten, die bei der Eisenbahn arbeiten und deren Umfeld gar nicht versteht, was sie da machen.

Vipassana-Zentrum

Bei meinem zweiten Kurs war ich, anders als beim ersten, im Vipassana-Zentrum in Triebel in Sachsen. Das Gelände gehört dem Verein und es gibt mehrere Gebäude und verschiedene Projekte, die angegangen werden. Dort finden das ganze Jahr über die 10-Tages-Kurse statt. Man kann dort auch als Langzeithelfer anfangen, das heißt mindestens zwei Monate freiwillig helfen und dreimal am Tag eine Stunde meditieren. Wenn es irgendwann mal reinpasst, habe ich das auf jeden Fall auch vor.

Es gäbe noch viel mehr zu erzählen, besondere Momente, die man nur unter solchen Umständen erlebt, oder tiefere Einblicke in die abendlichen Vorträge, aus denen es unendlich viel zu schöpfen gibt. Aber es ist auch gut, wenn man das einfach selbst erfährt. Auf der Website von Vipassana kann man nach Kursen suchen und sich anmelden.

Schlussworte

Um es nochmal zusammenzufassen – Vipassana war für mich eine bereichernde Erfahrung, man erfährt mehr über sich und auf andere Art, als ich mir davor vorstellen konnte. Ich würde jedem empfehlen, einmal im Leben einen Kurs zu machen, und mir würden so viele Leute in meinem Bekanntenkreis einfallen, denen es guttun würde. Aber, was mir auch nach dem ersten Kurs ein bisschen passiert ist, man darf sich nicht zu viel darauf einbilden und es als Allheilmittel und absolute Wahrheit sehen.

Ich hoffe, dieser Bericht hat euch ein bisschen inspiriert und Lust darauf gemacht. Stellt gerne alle Fragen, die ihr dazu habt, ich freue mich, darauf zu antworten. Oder berichtet gerne von euren Erfahrungen mit Vipassana oder Meditation.

Leona 🙂

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4 Antworten zu “Vipassana-Meditation”

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