4 Monate kein Alkohol


Im Auslandssemester habe ich die ersten 4 Monate keinen Alkohol getrunken und nicht geraucht. Hier lest ihr, wie es dazu kam, wie es für mich war und was ich jetzt darüber denke. Und dann noch ein kleiner Exkurs zu den gesellschaftlichen und psychologischen Mechanismen von Drogenkonsum.

Mein Mini-Experiment mit der Abstinenz

Wie ich schon öfter erwähnt habe, bin ich gerade in meinem Auslandssemester in Sofia, Bulgarien. Es ist jetzt Februar und so langsam neigt es sich dem Ende zu. Ich möchte über die ersten 4 Monate hier reflektieren, September bis Dezember, in denen ich keinen Alkohol getrunken habe. Erstmal vorneweg möchte ich sagen, dass ich kein Alkoholproblem habe und das Ganze nicht aus Notwendigkeit gemacht habe. Es sieht komplett anders aus, wenn jemand unter einer Abhängigkeit leidet und bestimmte Aussagen, die ich hier treffe, könnten triggernd sein.

Ich habe das Gefühl, dass sich viele Leute mit ihrem Alkoholkonsum auseinandersetzen und ihn teilweise problematisch finden. Zum Beispiel gibt es in meinem Umfeld viele Leute, die den „Dry January“ ausprobieren, was ja auch schon ein bisschen zum Trend geworden ist. Hier möchte ich meine Erfahrungen zu einem ähnlichen Experiment teilen.

Die Vorgeschichte

Mein Alkoholkonsum war in der letzten Zeit in Osnabrück, bevor ich geflogen bin, doch etwas zu viel in meinen Augen. Beziehungsweise, was ich problematisch fand war, dass ich anfing, Alkohol zu benutzen, um meine Emotionen zu regulieren. Ich habe gemerkt, dass ich Lust auf Alkohol bekam, wenn es mir in irgendeiner Art nicht gut ging oder ich schlecht drauf war. Dann habe ich mich mit Leuten getroffen und eine Nacht lang getrunken, und währenddessen war alles wieder gut. Aber irgendwann bin ich von Bier auch nur noch träge geworden und gar nicht mehr so fröhlich, wie ich es von früher in Erinnerung hatte. Wahrscheinlich habe ich so 2-4 Mal die Woche abends Alkohol getrunken. Das dürfte ziemlich im Durchschnitt sein und vor allem unter Studenten ist es nach meiner Erfahrung ziemlich normal.

Alles im grünen Bereich?

Ich hatte auch gar nicht das Gefühl, dass ich abhängig werde. Was mich aber für das Thema sensibilisiert hat, ist, dass ein wichtiger Mensch in meinem Leben drogenabhängig war. Und dazu hat er eben auch regelmäßig, manchmal jeden Tag, Alkohol getrunken. Bei ihm war das Muster genau so, dass er seine schlechten Emotionen, Gedanken und Stimmungen damit reguliert und betäubt hat. Nach zwei Jahren mit diesem Menschen wusste ich, wie gefährlich das ist und dass es eine alarmierende Art ist, mit seinen Emotionen umzugehen. Ich habe mich in der Zeit und danach viel mit dem Thema Abhängigkeit beschäftigt und meine Haupterkenntnis war, dass Drogen (Alkohol und Nikotin eingeschlossen) im Grunde nur ein „coping mechanism“ sind. Das bedeutet eben, sie sind eine Strategie, mit Schmerz oder Emotionen insgesamt umzugehen. In dem Fall betäuben sie unter anderem und helfen, für einige Zeit zu verdrängen und vergessen. Und besonders, wenn man als Kind keine anderen, positiven Strategien gelernt hat, wie Reden oder Sport oder einen kreativen Output, oder auch die Eltern nicht in einer gesunden Weise mit den Emotionen des Kinds umgegangen sind, landet man eben leichter bei Drogen.

Die Zusammenhänge

Im Zuge dieses Themas habe ich mich auch mit Drogenpolitik und gesellschaftlicher Akzeptanz beschäftigt. Auch durch meine Beziehung wurde mir bewusst, wie stigmatisiert Drogen in unserer Gesellschaft sind, obwohl es so viele Menschen gibt, vor allem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die konsumieren. Im Gegensatz dazu ist Alkohol komplett akzeptiert und sogar erwünscht. Und das, obwohl der Anteil von Alkoholabhängigen und auch -toten erschreckend hoch ist in Deutschland. Die Substanz ist enorm schädlich für Körper und Psyche und trotzdem wird sie so anders behandelt als alle anderen Drogen. Sogar Cannabis, von dem man nicht mal sterben kann, ist verteufelt. Das Gleiche wie für Alkohol gilt übrigens für Nikotin. Es scheint so eine willkürliche Trennung zu sein.

War on drugs

Eine historische Erklärung dafür ist der „War on Drugs“. Dieser wurde 1971 in den USA von Präsident Nixon ausgerufen. Neben seiner rassistischen Ausführung (Besitz von Crack, das vor allem von Afro-Amerikanern konsumiert wurde, wurde um weiten härter bestraft als zum Beispiel Besitz von Kokain), werden dabei Armut und eine schlechte soziökonomische Stellung benachteiligt. In dem Video „Is addiction a choice?“ erklärt der Mediziner Gabor Maté, wie das Strafrecht bei Drogen ungerechterweise Konsum bestraft. Wie ich aber schon beschrieben habe, sind Drogen eine Art, mit Schmerz umzugehen. Wer also eine traumatische Kindheit hatte und eine Drogenabhängigkeit entwickelt hat, wird dafür dann auch vom Justizsystem bestraft, anstatt die psychische Hilfe zu bekommen, die eigentlich nötig wäre.

Auf jeden Fall hat diese Ungerechtigkeit mich zu der Zeit hart getroffen und tut es auch immer noch. Das hat aber erstmal gar nicht zu einer Entscheidung geführt, mit Alkoholkonsum aufzuhören. Allerdings habe ich mir schon öfter Gedanken darüber gemacht und auch mit Leuten geredet, die eine Zeit lang oder schon immer keinen Alkohol trinken. Als ich in Sofia angekommen bin, habe ich im Hostel ein Mädchen getroffen, das keinen Alkohol getrunken hat. Ich war zwei Tage wandern mit ihr und habe erfahren, dass sie bei AA ist, also alkoholabhängig war. Das hat mich irgendwie getroffen, weil es so überraschend war und sie aber gleichzeitig auch so stark und selbstbewusst war. Und es hat nochmal Bewusstsein in mir geschaffen dafür, wie gefährlich und verharmlost Alkohol ist und wie schnell es zu einem ernsten Thema werden kann.

Erstmal kein Alkohol

Irgendwie habe ich in den ersten Tagen immer reflexartig Nein gesagt, wenn jemand mir Alkohol oder Kippen angeboten hat. Nicht aus Selbstdisziplin oder einer Entscheidung heraus, sondern eher um noch in einer Art Schutzzone zu bleiben, wo ich mich später noch dazu entscheiden konnte, ob ich trinken und rauchen wollte oder nicht. Am Anfang habe ich mich dann auch tendenziell zurückgehalten mit in Bars oder Clubs gehen. Ich wollte es ausprobieren, eine zeitlang nicht zu trinken, und hatte Angst, dass ich es bei den üblichen Gelegenheiten trotzdem tun würde. Am Anfang habe ich mir immer gesagt, wenn ich Lust habe, trinke ich, und schaue einfach mal, wie es so läuft. Wenn Leute gefragt haben, ob ich keinen Alkohol mehr trinke, habe ich immer gesagt, ich weiß es noch nicht. Irgendwann habe ich mir allerdings mehr Druck aufgebaut und, obwohl ich die Story immer noch so erzählt habe, war es mir echt wichtig, nicht zu trinken. Es wurde zu einer Art Ego-Push und Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Leuten, die trinken.

Social Drinking

Allerdings habe ich auch gemerkt, dass ich ohne Alkohol mehr Probleme habe, Leute kennenzulernen oder generell Gespräche zu führen. Mein Sozialleben war im Vergleich zu früher echt sehr runtergefahren. Entspannte Abende mit ein paar Leuten waren schön, aber sobald es feiern ging oder mehr Leute dabei waren, wurde ich meistens still und energielos und habe mich fehl am Platz gefühlt. Parallel dazu war Winter und das hat alles dazu geführt, dass es mir in der Zeit nicht so gut ging.

Ich finde es sehr spannend, was für eine große soziale Komponente Alkoholkonsum hat. Bei Rauchen ist mir das sehr stark aufgefallen, aber ich glaube, man kann es übertragen. Früher habe ich geraucht, und ich habe es sehr genossen, mir Kippen zu drehen und rauszugehen, ein Feuer rumzugeben und zusammen zu rauchen. Jetzt hat das alles gefehlt und mir wurde klar, wie viel man als Nichtraucher nicht mitkriegt. Diese ganze unterschwellige Dynamik, die unter Rauchern besteht, es ist ein bisschen wie die viel unterhaltsamere Versammlung in der Küche auf einer langweiligen Party. Man fühlt sich verbunden und durch die gemeinsame „Aktivität“, eventuell Drehzeug teilen und die Gespräche in der kleineren Gruppe, die dadurch entstehen. Oder auf einer Party: Man geht einfach raus und fragt nach Drehzeug oder Kippen, oder auch nur nach Feuer, und schon hat man Leute kennengelernt. So einfach ist das.

So verlockend

Und so ähnlich ist es mit Alkohol. Das gemeinsame Mischen, Anstoßen, Trinken und die geteilte gehobene Stimmung wirken zusätzlich zum reinen Rausch. Auch wenn es da diese örtliche Trennung nicht unbedingt gibt, dieses zusammen „Loslassen“ macht schon ein ziemlich starkes Gefühl der Verbundenheit. Und mit Bier in der Hand fühlt man sich irgendwie auch nicht so schnell komisch. Mir ist aufgefallen, es ist total normal, irgendwo draußen an einer Ecke zu stehen mit Zigarette oder Bier in der Hand, aber wenn man einfach dastehen und nichts tun würde, würde sich das schon ziemlich komisch anfühlen und auch auf andere so wirken. Ich habe mal in einem Buch von Erich Fromm (ich glaube, es war Haben oder Sein) eine Theorie gelesen, dass Tätigkeiten wie Rauchen, Essen, Trinken oder auch an den Fingernägeln kauen oder mit Stiftern rumspielen deshalb so befriedigend sind, weil sie entweder Hände oder Mund oder beides beschäftigen. Wir sind ziemlich schlecht darin, (sensorische) Stille auszuhalten, vor allem in unserer zunehmend dopamingesteuerten Gesellschaft. Und zum Rauchen braucht man Hände und Mund, was eben doppelt von dieser Stille ablenkt, zusätzlich zum Nikotin, das unser Belohnungssystem auch noch stimuliert.

Wer bin ich ohne Alkohol?

Ohne Alkohol und Zigaretten hat man irgendwie nicht viel, woran man sich festhalten kann. Wenn man sich ein bisschen verloren fühlt, kann man nicht einfach Bier trinken oder nach einer Kippe fragen, und was dann vielleicht dadurch gelöst wird, wird man ohne eben nicht so schnell los. Das hat dazu geführt, dass ich mich oft unwohl und angespannt gefühlt habe. Genau das war aber eigentlich Teil der Challenge. Irgendwann habe ich mir gesagt, ich will wissen, wer ich ohne Alkohol bin. Ich dachte, kein Alkohol zu trinken wäre ein guter Weg zu lernen, selbst mit diesem Gefühlen umzugehen und sie zu überkommen. Ich dachte, so komme ich etwas mehr aus meiner Komfortzone heraus. Im Endeffekt bin ich dadurch eher darin geblieben, weil ich nicht mehr so viele Leute kennengelernt habe und weniger abends weggegangen bin.

Ganz anderes Selbstgefühl

Aber tatsächlich war es sehr interessant zu beobachten, was für Emotionen ohne Alkohol in sozialen Situationen so hochkommen. Manchmal habe ich mich im Club einfach auf ein leeres Sofa gesetzt und die Augen geschlossen, um in mich hineinzuspüren. Und auch wenn ich nicht mochte, was ich da gespürt habe, es war irgendwie gut, sich das trotzdem mal zu erlauben und nicht zu betäuben. Am Anfang habe ich es dann immer noch ignoriert und bin weiter dageblieben in der Hoffnung, dass es noch weggeht. Irgendwann bin ich öfter einfach gegangen, wenn ich mich unwohl gefühlt habe. Und das hat dann dazu geführt, dass ich viel mehr „Quality time“ mit mir hatte, anstatt halbherzige Zeit mit Leuten. Ich war alleine, wenn ich alleine sein wollte, und war mit Leuten, wenn ich wirklich mit ihnen sein wollte. Immer öfter hatte ich auch tatsächlich Lust, etwas mit Leuten zu machen. Ich habe aber gar nicht gemerkt, dass das davor nicht so war, und es war sehr befreiend, das wieder zu spüren. Als ob ich wieder wusste, was richtig ist, nach so langer Zeit des lost-Fühlens.

So ging es weiter

Naja, tatsächlich ist diese Entwicklung erst so richtig passiert, als ich wieder angefangen habe, Alkohol zu trinken. Über Weihnachten und Silvester war ich in Deutschland, bei meinen Freunden in Osnabrück, mit denen ich auch sonst rauche und trinke. In Sofia war es mir immer leicht gefallen, nicht zu rauchen und zu trinken. Es war, als ob zwischen mir und den Rauschmitteln eine Barriere war, und das konsumierende Ich existierte nur in einem Paralleluniversum. Als ich aber in Osnabrück aus dem Zug stieg, hatte ich direkt Lust zu trinken und so war der erste Abend direkt ein (schöner) Absturz. Und da wurde mir plötzlich klar, wie viel Druck ich mir mit dem ganzen Verbot gemacht habe, was ich mir für Konstrukte der spirituellen Überlegenheit in meinem Kopf aufgebaut habe, und dass ich ganz schön froh war, diese umzuschmeißen. Es war wie ein kleiner Befreiungsschlag, der mir den ganzen Zwang wegnahm. Es war schön, wieder „unten“ zu sein, anstatt über allem zu schweben.

Was daraus gelernt?

Silvester habe ich dann auch getrunken und so ging es im neuen Jahr weiter. Wo die meisten Menschen im Januar aufhören, zu trinken, mache ich genau das Gegenteil und fange wieder an. Jetzt, Anfang Februar, trinke ich so einmal die Woche, wenn nicht weniger. Rauchen tue ich tagsüber gar nicht mehr, nur beim Trinken. Und, was glaube ich einen relativ großen Effekt hat, ich trinke nicht mehr einfach so ein Bier oder Glas Wein, wenn es sich eigentlich gar nicht lohnt. Ich bin auch besser darin geworden, meinen Körper mit seinen Empfindungen und meine Emotionen zu beobachten. Ich finde es nicht mehr so schlimm, alleine zu sein, wenn ich auch mit Leuten sein könnte. Das meiste davon habe ich unter anderem gelernt, weil ich in den vier Monaten nüchtern in Situationen war, in denen ich sonst getrunken hätte. Und auch wenn ich mir eigentlich vorgenommen habe, meine sozialen und sonstigen Ängste damit zu besiegen, was ja irgendwie nicht so geklappt hat, bin ich doch froh, dass ich es gemacht habe.

Sich selbst kennenlernen

Ich hätte in den vier Monaten deutlich mehr Spaß haben können. All die Male, die ich unangenehm auf einem Stuhl saß oder in denen ich nicht wusste, was ich in einem Gespräch sagen soll, oder ich mich beim Tanzen unwohl gefühlt habe – ich glaube, das unangenehme Gefühl jedes Mal hat sich gelohnt, und zwar einfach nur, um zu erkennen, dass es da ist. Und so doof es sich anfühlt und so gerne ich es verdrängen und wegtrinken möchte, es ist doch da. Und genau das möchte ich ja lernen, wie man mit diesen negativen Gefühlen umgeht und wie man sie akzeptiert. Manchmal hat es mich gewurmt, dass ich nicht in diese Hochgefühle komme, die man sonst mit Konsum erreicht. Und seit ich wieder trinke, bin ich auch ganz froh drum, sie wieder zu spüren. Aber ich habe glaube verstanden zu haben, dass das nicht echt ist und dass Momente viel mehr wert sind, wenn man dieses „Hoch“ auf natürliche Weise erreicht. Sonst klammert man sich zu sehr daran fest und es geht einem umso schlechter, wenn es vorbei ist.

Mir ist auch aufgefallen, dass Alkohol mir nur Spaß macht, wenn ich davor schon gut drauf bin und Lust auf soziale Kontakte habe. Dann verstärkt Trinken bei mir diese Stimmung und dieses Hoch. Aber wenn ich schlecht drauf bin und eigentlich gar keine Lust auf Feiern habe und nur meine schlechten Gefühle loswerden will, dann betäubt Alkohol mich zwar, aber in einer erdrückenden Art, in der ich nur abstumpfe. Ich hoffe, daraus werde ich lernen, dass es sich für mich nicht lohnt, zu trinken bei schlechter Laune. Stattdessen sollte ich mich hinsetzen und mich mit meinen Emotionen beschäftigen.

Zu guter letzt

Okay, um ein paar Schlussworte zu finden: Ich bin froh, dass ich das kleine Experiment gewagt habe. Es hat mir gezeigt, wie ich an einigen Stellen anders mit mir selbst und meinem Konsum umgehen sollte, wenn ich mir nicht schaden möchte. Es hat vielleicht nicht ganz das bewirkt, was ich mir erhofft hatte, aber vielleicht war das auch unrealistisch. Auf jeden Fall habe ich mich ein gutes Stück selbst besser kennengelernt. Und es ist meine Überzeugung, das das im Endeffekt der Schlüssel zu einem „glücklicheren“ Leben ist, und es einem hilft, seinen Weg zu finden. Und das ist ja irgendwie das, was man mit Selbstfindung meint.

Ich hoffe, euch hat dieser Bericht interessiert und vielleicht inspiriert. Mich würde es sehr interessieren, was ihr zu dem Thema denkt!

Leona


3 Antworten zu “4 Monate kein Alkohol”

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