Intellektuelle körperliche Berufe


Bzw Berufe, die sowohl körperlich als auch intellektuell anspruchsvoll sind.

Sowohl meine persönliche Geschichte zur vorläufigen „Berufsfindung“ als auch Darstellung der Problematik und kurze Abhandlung zur Arbeitswelt sowie Gesellschaftskritik. Und natürlich auch Darstellung von möglichen Lösungen, alles in einem.

Die Berufsfindung, die ich und wohl auch viele andere junge Erwachsene schon seit Jahren betreiben, nimmt mit sich näherndem Ende des Studiums mehr und mehr an Realität zu. Diese schrittweise Erkenntnis, dass es nicht nur ganz abstrakt darum geht, welchen Beruf man passend fände, sondern dass man dann wirklich jahrelang oder sogar jahrzehntelang jeden Tag dort aufschlagen und etwas leisten muss, kam für mich schon heftig. Diese ganze Frage hat plötzlich wirklich etwas mit der eigenen Lebensrealität zu tun. Für mich persönlich hat es das nicht gerade einfacher gemacht, aber irgendwie konnte ich dadurch das Ganze besser konkret an mir und meinen Wünschen und Bedürfnissen ausrichten.

Meine Erfahrungen bis jetzt

Aber erstmal von vorne. Bei mir sieht es so aus: ich habe nach dem Abi und einem „Gap Year“ angefangen, Cognitive Science zu studieren. Das ist ein sehr breit gefächerter und interdisziplinärer Studiengang, der zum Beispiel die Bereiche Psychologie, Neurowissenschaft, Künstliche Intelligenz, Philosophie und Informatik abdeckt. Damals wollte ich einfach nur meine Entscheidung, was ich denn wirklich mit meinem Leben machen will, aufschieben, und in diesem Studiengang haben mich viele Themen interessiert.

Und obwohl das Studium immer noch teilweise interessant ist, ist mir auch klargeworden, dass ich mit einem „Science“ Studiengang wohl in der Wissenschaft landen werde. Was erstmal nicht schlimm ist, als Kind wollte ich immer Forscherin werden, aber für mich hat es eben angefangen, schlimm zu klingen. So interessant es auch ist, unentdeckte Bereiche zu erforschen oder zu entdecken, so anstrengend ist es auch, im Labor zu stehen oder am Laptop zu sitzen oder philosophische Aufsätze zu schreiben und sich mit den ganzen wissenschaftlichen Details und haargenauen Dokumentationen zu beschäftigen. Und so gut es sich in der Praxis anhört, so theoretisch und abstrakt ist der Beruf im Endeffekt wahrscheinlich auch.

Tatsächlich würde mir das vielleicht liegen, da ich eher ein Kopfmensch bin und es liebe, Probleme oder Rätsel zu lösen, oder auch Matheaufgaben. Genug Interesse und Neugier hätte ich wahrscheinlich auch. Aber ich bin auch chaotisch und hätte wohl ein Problem mit dem akribischen Arbeiten. Und irgendwie macht es mich auch immer unglücklich und eingefahren, wenn ich so viel nachdenke oder zum Beispiel auch programmiere. Ich möchte einfach nicht so viel Zeit in meinem Kopf verbringen.

Ein Ausweg

In letzter Zeit habe ich mich viel mit dem Thema Permakultur beschäftigt. Wobei beschäftigt in meinem Fall vor allem heißt, ich habe mir YouTube-Videos angeschaut. Und zwar konkret von Leuten, die irgendwie aus der Gesellschaft ausgestiegen sind, sich irgendwo in der Natur ein Grundstück gekauft haben, und da jetzt mit Familie oder Freunden leben und sich teilweise aus ihrem Garten selbst versorgen. Und diese Vorstellung hat mich so dermaßen angesprochen, dass ich mir nicht mehr vorstellen kann, ohne die Natur glücklich zu werden.

Für mich ist auch die Vorstellung von körperlicher Arbeit so viel erfüllender als von rein theoretischer, intellektueller Arbeit. Einfach das Gefühl, aktiv etwas an der Welt zu verändern, Einfluss auf sie zu haben, ist für mich so mächtig. So viel befriedigender als stundenlang am Laptop zu sitzen und zu programmieren, und danach sieht die Welt noch genau so aus wie davor und man hat sich auch nicht vom Fleck bewegt, außer um das Ladekabel in die Steckdose zu stecken. Auch durch meine Arbeit im Tierheim habe ich erfahren, wie viel besser man sich am Ende des Tages nach körperlicher Arbeit fühlt.

Das Dilemma

Nur ist es meistens so, dass körperliche Arbeit intellektuell nicht so anspruchsvoll ist. Die meisten Ausbildungsberufe sind wirklich nur körperlich, und dann muss man auch sein ganzen Leben dieser einen Tätigkeit committen. Zum Beispiel als Zimmermann/-frau oder Gärtner*in oder Goldschmied*in. Aber warum gibt es kaum Berufe, die körperliche und intellektuelle Herausforderungen kombinieren? Und wenn, dann sind es irgendwelche Leute, die privat ihr Glück und irgendeine auf sie zugeschnittene Möglichkeit finden, beides zu kombinieren.

Aber mal so evolutionär gedacht – zu Zeiten der Jäger und Sammler, oder auch der ersten sesshaft gewordenen Menschen, ging es ja in erster Linie darum, zu überleben. Und das meiste davon war körperlich, aber genauso wichtig war wahrscheinlich die Fähigkeit, Probleme kreativ zu lösen, um eben die Überlebenschancen zu steigern. Das, wofür der Mensch ist restlichen Tierreich so bekannt ist. Und genau dieses Probleme lösen ist ja eigentlich dieser Forschungsdrang, dieser Willen, mit seinem Geist irgendwas in der echten Welt zu verbessern oder zugänglich zu machen. Und nach dieser Überlegung müsste es ja erstmal ziemlich natürlich sein, körperliche und geistige Arbeit zu kombinieren, und sogar ertragreicher.

Ganz plakativ: Spaltung der Gesellschaft?

Warum also ist das heute anscheinend kein Ding mehr? Ich schätze, das liegt vor allem an der Industrialisierung und Automatisierung, die viele Probleme eliminiert hat. Dadurch blieb von einst kreativen körperlichen Arbeiten nur noch der körperliche Teil übrig, weil es standardisierte oder maschinisierte Lösungen für die Probleme gab. Und um diese Probleme besser und besser zu lösen, oder auf der Meta-Ebene nach neuen Problemen zu suchen, gibt es Wissenschaftler, Entwickler und Philosophen. Und diese müssen sich immer weniger mit der „echten Welt“ beschäftigen und halten sich oft vor allem in ihren abstrakten, wissenschaftlichen Welten auf, die natürlich auch irgendwie entfremdet sind.

Diese „Spaltung“ in der Arbeitsteilung hat wahrscheinlich auch diese gesellschaftliche „Spaltung“, oder Aufteilung in intellektuelle und körperliche Berufe gefördert. Es ist einfach nicht mehr effizient, in einer Instanz beides zu machen. Auch, weil man die Arbeit nicht mehr direkt für sich und sein näheres Umfeld macht, sondern für die Gesellschaft. Was ja nicht per se schlecht ist und auch große Vorteile haben kann, aber in unserer Gesellschaft eben oft zur Entfremdung und einem wenig erfüllten Arbeitsleben führt. Ohne dass ich jetzt mit Marx anfangen will, der aber natürlich viele schlaue Sachen zum Thema Arbeit und Gesellschaft zu sagen hat, stimmt es wahrscheinlich, dass diese Aufteilung in erster Linie Profit und Kapitalismus begünstigt. Und eben nicht den einzelnen Menschen.

Zurück zur Ganzheit?

Und jetzt kann man es natürlich als rückschrittig betrachten, wenn man zurück zu dieser Ganzheit an Prozessen für die einzelne Person will. Aber ich habe das Gefühl, damit würde man sich auch viel an Freiheit und Selbstbestimmung zurückholen. Künstler zum Beispiel kombinieren in diesem kreativen Prozess ja auch irgendwie körperliche und geistige Arbeit. Auch wenn das Produkt, das Kunstwerk, körperlich angefertigt wird, so besteht ein Großteil des Prozesses in der Inspiration, die geistig stattfindet. Nur dass das vielleicht mehr intuitiv als intellektuell stattfindet. Was aber ja auch etwas schönes ist, und vielleicht ist diese kreative Intuition genau die Verbindung zwischen körperlicher und intellektueller Tätigkeit. Und ich würde sagen, dass diese kreative Intuition, vielleicht hat sie auch etwas mit dem Flow-Zustand zu tun, auch sehr gefördert wird, wenn man sich mit der Natur beschäftigt oder in ihr arbeitet.

Die meisten Menschen, mit denen ich spreche, vor allem eben aus dem Studierenden-Umfeld, sagen jetzt, na dann mach doch das Körperliche einfach in deiner Freizeit. Und das ist ja auch irgendwie eine schöne Vorstellung, tagsüber einen guten Job, in dem man Geld verdient, zum Beispiel in der Wissenschaft, und abends und am Wochenende kann man dann dem eigentlich erfüllenden „Hobby“ nachgehen. Aber warum muss man immer so sehr seinen Beruf von seinem Leben trennen? Arbeit ist doch in erster Linie die Art, wie man sich am Leben erhält. Und kann man ein erfülltes Leben führen, wenn so ein großer Teil des Lebens einfach nur pragmatisch gedacht wird? Irgendwie ist diese Lösung mit Beruf und Hobby auch nicht ganz das Wahre.

Luxusprobleme

Natürlich sind das alles Fragen, die man sich nur stellen kann, wenn man gesellschaftlich und finanziell privilegiert ist. Die meisten Menschen auf der Welt und auch viele in Deutschland können sich gar nicht aussuchen, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen, von einem erfüllenden Beruf ganz zu schweigen. Ist es also verwerflich, sich darüber Gedanken zu machen, während es noch so viele grundlegendere Probleme in unserer Gesellschaft gibt?

Das ist natürlich eine viel komplexere Frage, die in viel viel mehr Bereichen und Themen gedacht werden muss. Aber ganz konkret zum Thema Arbeitswelt denke ich, dass das Problem nicht bei den Menschen liegt, die sich Gedanken um erfüllende Arbeit machen. Bei der ganzen „Spaltung“ der Gesellschaft liegt ja ein profit- und wirtschaftsorientiertes Denken zugrunde. Und weil eben auf Gewinne mehr geachtet wird als auf Menschen, gehen so viele unter und müssen in schlechtbezahlten Jobs am Rande des Existenzminimums arbeiten. Ich denke, wenn man auf persönlicher Ebene seine Bedürfnisse an das Arbeitsleben hinterfragt, hilft das auch dabei, gesamtgesellschaftliche Prozesse zu hinterfragen.

Noch mehr Gesellschaftskritik

Naja, was bringt das ganze Auseinandersetzen damit jetzt? Zum Ersten ist natürlich allein schon die Erkenntnis über die eigenen Bedürfnisse wichtig. Ich für mich bin mir zum Beispiel sicher, dass ich sowohl körperliche als auch intellektuelle Aspekte in meiner Arbeit haben möchte. Dann möchte ich noch eine Arbeit haben, die Sinn ergibt, und in der man Menschen hilft. Wenn ich mit meiner Familie über Arbeit diskutiere, kommen oft Vorwürfe, dass meine Generation, oder konkret ich, faul sei und nicht arbeiten wolle. Aber das stimmt so nicht. Ich denke, jeder Mensch hat irgendwie ein Bedürfnis in sich, etwas zu einer Gesellschaft beizutragen. Wir sind eben soziale Wesen. Aber diese Möglichkeit wird einem oft genommen, weil viele Jobs eben so abstumpfend und entfremdend sind und weil man sich auch irgendwie nicht gebraucht fühlt, wenn man an der Supermarktkasse arbeitet und regelmäßig von Kunden angeschrien wird.

Und dann hat man nach den acht Stunden Arbeit nicht mehr viel Zeit, sich um Familie, Freunde, Sport, gesunde Ernährung, Hobbys und ausreichend Schlaf zu kümmern. Ich bin froh, dass meine Generation dieses Bild der Arbeit kritisiert und offen ablehnt. Denn das ist nicht nur menschenunwürdig, sondern schadet in der Gesamtheit der Profitorientiertheit eben auch dem ärmeren Teil der Gesellschaft und der Umwelt. Ich finde es sehr gerechtfertigt, wenn man da sinnvolle Arbeit fordert, die Menschen oder irgendwie der Welt hilft und nicht schadet. Dieser eine Spruch kommt mir immer in den Kopf: Ich will ein Leben, von dem ich keinen Urlaub brauche.

Für eine bessere Welt…?

Und eben dieses Leben versuche ich mir zu bauen. Ich weiß noch nicht wie, aber ich verstehe mittlerweile besser, was ich brauche und will. Und dass es schwierig ist, in der Gesellschaft eine Existenz zu führen, die sowohl finanziell gesichert als auch erfüllend ist und nicht der Welt schadet. Auf jeden Fall werde ich hier darüber schreiben, wie ich das anstelle, mit oder ohne die Gesellschaft.

Hier noch ein paar gute YouTube-Videos zu verwandten Themen:

Verschiedene alternative Lebensentwürfe (in der Natur)

Trailer zu einem Film über ein naturnahes und soziales Community-Projekt

Permaculture Food Forest / Waldgarten

Inspirierende Lebensgeschichte mit der Natur


4 Antworten zu “Intellektuelle körperliche Berufe”

  1. Hey Leona, dein Artikel und eigentlich deine ganze Webseite sprechen mir aus der Seele! Ich kann das so gut nachvollziehen! Ich bin in einer ähnlichen Situation und habe ähnliche Gedanken. Schreib mir doch mal eine Nachricht 🙂
    Lieben Gruß,
    Elisa

    • Hallo Elisa, danke für den lieben Kommentar, das bedeutet mir sehr viel!:) und freut mich sehr, dass die Texte dich ansprechen.
      Tut mir leid, dass ich dir jetzt erst antworte, ich schreibe dir mal eine Mail.
      Liebe Grüße Leona:)

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